„Nie wieder!“ – Ehemaliger Bundestagspräsident im Sparkassen-Gespräch

Prof. Dr. Norbert Lammert (2.v.r.) inmitten seiner Gastgeber: Thomas Giessing, Marie-Theres Jakobs-Bolten, Arnd Schürmann (v.li.n.r.).

Kreis Heinsberg. Täglich erreichen uns in den Nachrichten entsetzliche Bilder und Berichte aus dem Gazastreifen und Israel – und nach wie vor aus der Ukraine. Das Leid der Menschen ist dort unvorstellbar. Dies hat jedoch auch innenpolitische Auswirkungen. Die aktuellen antijüdischen Strömungen in Deutschland sind besorgniserregend. Es ist unsere historische Verantwortung, Terror, Hass und Antisemitismus entgegenzutreten.
Am Montagabend fand das dritte aus aktuellem Anlass kurzfristig eingeschobene Sparkassen-Gespräch im Jubiläumsjahr 2023 in Erkelenz in der Kreissparkasse Heinsberg statt. In seinem Vortrag: „Nie wieder! Deutsche Staatsräson in Zeiten des Krieges!“ sprach Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D., über die aktuelle Lage.
Thomas Giessing, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Heinsberg, bekräftige zur Begrüßung den hohen Stellenwert eines friedlichen und respektvollen Miteinanders in Deutschland und der Welt. „Die Sparkassen-Organisation hat sich daher unmittelbar nach Ausbruch des Konfliktes einer Initiative der deutschen Wirtschaft angeschlossen. Mit einer gemeinsamen Erklärung ,Nie wieder ist jetzt’ möchten wir Hass und Antisemitismus deutlich entgegentreten.“ „Für Judenhass darf in Deutschland kein Platz sein.“
Zum öffentlichen Auftrag der Kreissparkasse Heinsberg gehört auch die öffentliche Aufklärung gerade bei jungen Menschen. Thomas Giessing freute sich in diesem Zusammenhang ganz besonders, Schülerinnen und Schüler des bischöflichen Gymnasiums St. Ursula aus Geilenkirchen begrüßen zu dürfen. Diese Gruppe hat in einem aufwendigen Projekt die Geilenkirchener Synagoge virtuell wieder aufgebaut.

Prof. Dr. Lammert bei seinem Vortrag in Heinsberg.

Prof. Dr. Norbert Lammert wird als nachdenklicher, feinsinniger und rhetorisch gewandter Demokrat und Kulturfreund geschätzt. Davon konnte sich das Publikum im voll besetzten Staffelgeschoss der Kreissparkasse Heinsberg überzeugen und war sehr angetan. Der CDU-Politiker Norbert Lammert war von 2005 bis 2017 Parlamentspräsident. Heute ist er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zu Beginn seiner Rede resümierte er über das fast endende Jahr 2023: „Alte und neue Krisen legen Schatten auf dieses Jahr! Von diesen Krisen und Kriegen ist weder absehbar, wann, noch wie sie ausgehen werden.“ Unvorstellbar grausame und unerträgliche Bilder und Berichte erreichen uns aus Israel. Was palästinensische Terroristen aus dem Gazastreifen seit den frühen Morgenstunden des 7. Oktober 2023 in Israel anrichten, sei verbrecherisch und niederträchtig. Ganz offensichtlich sei es das erklärte Ziel dieses pogromartigen Überfalls, möglichst viele israelische Zivilisten zu töten und zu verschleppen. Seit der Shoah habe es das in dieser Dimension nicht mehr gegeben. Das Entsetzen über diese menschenverachtenden Handlungen palästinensischer Terroristen raubte einem den Atem. „Für ein solches Massaker gibt es keine Rechtfertigung!“ Nach Lammerts Einschätzung gilt es drei Aspekte zu beachten, die sich zurzeit gleichzeitig
entwickeln:
1. Die Herausforderung des Existenzrechts Israels
2. Die Notlage im Gazastreifen und in den palästinensisch besetzten Gebieten
3. Verbreitung antisemitistischer Handlungen auch in Deutschland
Seit dem Bestehen 1948 muss sich Israel für seine Existenz rechtfertigen. „Für Israel kann es keine Sicherheit geben, solange es Terrorismusorganisationen, wie die Hamas gibt. Aber auch Israel muss für eine sichere und selbstverantwortliche Zukunft den Palästinensern Raum geben.“

„Deutsche Staatsräson“
Mit diesem Begriff ist gemeint, dass Deutschland auch aus historischer Sicht eine Verantwortung für die Sicherheit Israels hat. Der Nationalsozialismus hätte fast das jüdische Volk ausgerottet, daher sei Deutschland heute in einer umso größeren Verantwortung für den
Schutz von Israel zu sorgen. Jedoch blüht der Antisemitismus auch in Deutschland auf. Ein Anstieg um 320% im Vergleich zum Vorjahr an antisemitisch motivierte Handlungen in Deutschland ist erschreckend. Lammert zeigte in seinem Vortrag auch Gemeinsamkeiten in den aktuellen Krisen auf. Sowohl der Ukraine, wie auch Israel geht es um das Existenzrecht als Staat. „Wenn diese beiden Staaten ihre Waffen niederlegen, sichern sie nicht den Frieden, sondern geben damit ihre Existenz auf“, erläutert Lammert. Der Solidaritätszuspruch für die Ukraine beim russischen Angriffskrieg lag bei 2/3 der Weltgemeinschaft. Beim Angriff der Hamas auf Israel hingegen haben sich 2/3 der Weltgemeinschaft nicht mit Israel solidarisiert.
Wie gehen wir mit solchen Ereignissen und Entwicklungen um? „Solidaritätserklärungen sind leicht publiziert, aber schwer umzusetzen.“
Die meisten Deutschen würden die Position vertreten, Deutschland solle sich aus dem kriegerischen Konflikt in Israel heraushalten. „Das ist ein verständlicher Reflex, der aber verkennt, dass das Verdrängen eines Problems nicht die Lösung eines Problems ist.“ Der tiefgründige Vortrag von Lammert mit vielen Denkanstößen zu den Kriegen in der Ukraine und Israel zog die Zuschauer in den Bann.
Thomas Giessing dankte Prof. Dr. Norbert Lammert für seinen eindrucksvollen, nachdenklich machenden und auch aufrüttelnden Vortrag. „Die aktive Umsetzung von Solidaritätsbekundungen ist auch Aufgabe aller Deutschen – aus Gesellschaft, aus Politik und auch aus der Wirtschaft. Das Nie wieder findet im Alltag bei jedem Einzelnen statt.“