Regenbogenprojekt gestartet – Hilfeangebot für junge Menschen bis 27 Jahren – Beratung donnerstags von 18 bis 20 Uhr

Geilenkirchen. Anfang des Monat startete das Jugendhaus Franz von Sales das „Regenbogenprojekt“, ein neues Hilfeangebot für junge Menschen im Alter zwischen 12 und 27  Jahren, die in ihrer Ausrichtung nicht der heterosexuellen gesellschaftlichen Norm entsprechen, also schwul, lesbisch, bisexuell, transsexuell, etc. sind. Dieser umfassende Personenkreis wird gewöhnlich mit dem Kürzel „LSBTI*“ zusammengefasst.
Die Fachwelt geht bei dieser Gruppe von insgesamt rund 10% der Bevölkerung aus, was bei der Bevölkerung des Kreises Heinsberg von rund einer viertel Million Einwohnern dann rund 25.000 Personen betrifft. Umso erstaunlicher, dass es bisher noch kein Angebot für diesen Personenkreis gibt. Und gerade die jungen Menschen befinden sich nicht selten zumindest zeitweise in einer sehr krisenhaften Situation. Wie alle Jugendlichen sind sie mit den Anforderungen auf dem Weg zum Erwachsenwerden belastet, sie müssen sich aber zusätzlich noch mit ihrer sexuellen Orientierung und Identität auseinandersetzen. Und das in einer Gesellschaft, in der Homophobie an der Tagesordnung ist. Der Begriff „Schwule Sau“ ist auf deutschen Schulhöfen täglich allgegenwärtig, er ist das Schimpfwort, das unter Jugendlichen am meisten benutzt wird. Und über einen Mitschüler, der beispielsweise im Sportunterricht durch schlechte Fußballkünste auffällt, heißt es oft: „der spielt voll schwul“! „Schwul“ als Synonym für „schlecht“, „falsch“, „kaputt“! Aber auch die Wissenschaft meldet, dass Homophobie unter Jugendlichen seit einigen Jahren wieder zunimmt.
Dabei ist das Märchen von der Homosexualität als etwas Unnatürliches von der Wissenschaft längst widerlegt. Bereits bei rund 1.600 Tierarten konnte homosexuelles Verhalten nachgewiesen werden. Und dass kein Mensch sich seine von der gesellschaftlichen Norm abweichende sexuelle Orientierung oder Identität selber ausgesucht hat, und sie auch sein ganzes Leben lang nicht ablegen kann, sollte sich allgemein rumgesprochen haben. Wer davon betroffen ist, muss sein ganzes Leben damit zurechtkommen! Lady Gaga hat es eindrucksvoll auf den Punkt gebracht: „Es gibt Menschen, die glauben es ist eine Wahl, schwul, lesbisch, bi oder trans zu sein. Es ist keine Wahl, wir sind so geboren.“
In der Regel weiß ein junger Mensch im Alter von 14 Jahren, oft schon mit 12 oder noch früher, von seiner anderen Orientierung oder Identität, hat er also das sogenannte „Innere Coming-out“ vollzogen. Bis zum „Äußeren Coming-out“, also sich anderen Menschen mitzuteilen, vergehen in der Regel rund 2 bis 3 Jahre, in denen er mit seiner Selbstfindung, besonders was seine Sexualität angeht, alleine ist, mit all den damit verbundenen Problemen und Ängsten. Angst vor Ablehnung haben sie laut einer wissenschaftlichen Studie vor allem bei den Personen, die ihnen am Wichtigsten sind: Familie (69%), Freunde (74%), Schule/Uni/Arbeitsplatz (61%). Trotz aller Generationenkonflikte, vor allem in der Pubertät, sind die Eltern meistens die Personen, bei denen man Verständnis sucht und finden sollte, denen man sich mit seinen Problemen anvertraut. Erschreckend ist aber zu beobachten, dass die Homosexualität ihres Kindes von rund 25 % aller Elternteile abgelehnt wird. Der Jugendliche findet also genau dort keine ausreichende Unterstützung, wo er sich eigentlich geborgen fühlen sollte, nämlich in der eigenen Familie. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass bei dieser Personengruppe Drogen- und Alkoholkonsum überdurchschnittlich anzutreffen ist und vor allem die Selbstmordrate bei diesen Jugendlichen um bis zu 7mal höher liegt, als im Durchschnitt aller Jugendlichen, eine zweifellos erschreckende Zahl.
Wer zu diesem Thema Hilfe braucht, muss den Kreis Heinsberg verlassen. In Aachen und Mönchengladbach gibt es Angebote, die eher im Bereich von Selbsthilfegruppen angesiedelt sind. Wer als junger Mensch aber professionelle Hilfe braucht, muss bis nach Köln (Jugendzentrum „anyway“) oder bis nach Düsseldorf (Jugendzentrum „Puls“) reisen.
Mit dem „Regenbogenprojekt“ versucht das Jugendhaus Franz von Sales in Geilenkirchen jetzt diese Lücke im Hilfeangebot des Kreises Heinsberg, insbesondere der Stadt Geilenkirchen, zu schließen. Zur LSBTI*-Gruppe können im Kreis Heinsberg in der genannten Altersspanne rund 4.000 Personen gerechnet werden, in der Stadt Geilenkirchen immerhin rund 500. Dieses Projekt will diesen direkt betroffenen jungen Menschen Hilfe anbieten. Als Kernzielgruppe wurde also die Altersspanne von 12 bis 27 Jahre definiert, in erster Linie Personen aus der Stadt Geilenkirchen. Aber niemand wird abgewiesen und da die Beratung anonym erfolgt, wird die Herkunft des Hilfesuchenden ja auch nicht ersichtlich.
Der Personenkreis potentieller Hilfesuchender ist also beachtlich. Und in den Regionen unseres Landes, in denen adäquate Beratungsangebote vorgehalten werden, werden diese von 15% der angesprochenen Zielgruppe aufgesucht. In Geilenkirchen wären das also 75 Personen, im Kreis Heinsberg 600.
Auf der Homepage des Jugendhauses, erreichbar unter www.lsbt-gk.de, als erste Säule des Projektes, sind vielfältige Informationen rund um das Thema „LSBTI*“ zu finden. Medien und Argumentationshilfen ebenso, wie auch weitere Hilfeangebote und nützliche Adressen, auch spezielle Infos für LSBTI*-Migranten. Aber auch das gesamte Umfeld der jungen Menschen, also insbesondere Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde, Lehrer, Trainer, etc., sollen als zweite Zielgruppe angesprochen werden, so dass auf der Internetseite auch spezielle Infos für Erwachsene zu finden sind.
Die zweite Säule des Projektes ist die Onlineberatung per Email (lsbt-gk@jhfvs.de). Wer Fragen hat oder Rat sucht, kann sich anonym per Email melden und erhält in der Regel innerhalb von 24 Stunden eine Antwort.
Das Kernstück des Regenbogenprojektes ist aber die persönliche Beratung als dritte Säule. Außer an gesetzlichen Feiertagen, also auch in den Ferien, ist an jedem Donnerstag in der Zeit von 18 bis 20 Uhr ein Berater im evangelischen Gemeindezentrum in der Innenstadt von Geilenkirchen (Konrad-Adenauer-Straße 83, rückwärtiger Eingang, neben dem Jugendzentrum Zille) anzutreffen und steht dort zur Beratung bereit, also erstmals am 6. Juni. Der Weg zum Beratungsraum ist diskret ausgeschildert. Die Beratung ist kostenlos, anonym, unverbindlich, offen und vertraulich. Man kann also ohne Voranmeldung einfach zur Beratung gehen und muss seine Identität nicht preisgeben. Und wer seine Schwellenangst nicht alleine überwinden kann, der kann vorher per Email mit dem Berater einen Treffpunkt in der Nähe des Gemeindezentrums absprechen und er wird dort abgeholt.
Die persönliche Beratung, wie auch die E-Mail-Beratung, steht auch dem bereits genannten Umfeld offen. Das sind beispielweise Eltern, die mit der Sexualität ihres Kindes nicht zurechtkommen, weil sie diese ablehnen, oder weil sie helfen wollen, aber nicht wissen, wie sie das können. Das kann beispielsweise der Trainer der Jugendfußballmannschaft sein, weil sich ein Mannschaftsmitglied geoutet hat und von Teilen der Mannschaft gemobbt wird oder weil er die Not eines ungeouteten Mannschaftmitglieds erkennt und einfach nur helfen will. Viele weitere Konstellationen des Umfelds sind denkbar, beispielsweise auch im schulischen Kontext, und für alle steht die Beratung offen.
Drei Mitarbeiter des Jugendhauses wechseln sich in der Beratung ab. Alle haben ausreichendes Wissen zur LSBTI*-Thematik und einen pädagogischen Ausbildungshintergrund. Einen „Dienstplan“ findet man auf der bereits genannten Internetseite. Im Beratungsraum wird zudem weiteres Infomaterial zur Verfügung gestellt, auch für spezielle Fragestellungen. So liegt beispielsweise eine Infomappe für transsexuelle Menschen bereit, die den Weg der Geschlechtsumwandlung gehen wollen.
Das Regenbogenprojekt wurde vom Jugendhaus Franz von Sales in Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Geilenkirchen im letzten Jahr konzipiert, die Landesfachberatungsstelle „gerne anders – sexuelle Vielfalt und Jugendarbeit“ in Mühlheim/Ruhr hat hierbei beratend unterstützt. Anfang Oktober 2018 wurde das Projekt dem Jugendhilfeausschuss der Stadt Geilenkirchen vorgestellt und fand dort einstimmige Zustimmung. Finanziert wird das Regenbogenprojekt in erster Linie durch das Land NRW aus dem Fördertopf des Kinder- und Jugendplans. Die dann noch ungedeckten Kosten übernehmen das Jugendamt der Stadt Geilenkirchen und das Jugendhaus Franz von Sales. Die Berater stecken jedoch einen Teil ihrer Freizeit in das Projekt, sodass es auch durch ehrenamtliches Engagement getragen wird.
Im Frühjahr 2020 erfolgt eine erste Auswertung des Projektes. Das Ergebnis wird dann zeigen, welche Angebote künftig hilfreich sein können. Im Fokus stehen wird dann insbesondere auch die Frage, ob das Beratungsangebot auf weitere Teile des Kreises Heinsberg ausgeweitet werden sollte und ob andere Angebotsformen, wie zum Beispiel eine Jugendgruppe für die Zielgruppe, initiiert werden sollen.